Donnerstag, 14. Mai 2015

Eine miese Diagnose und das Tagebuchproblem

Da beschäftigte mich eine Frage ganz plötzlich nun doch. Was würde wohl mit meinen unzähligen voll geschriebenen Notiz- und Tagebüchern passieren, wenn ich mal nicht mehr da bin? Da bekommt man diesen Hirntumor und als Letztes denkt man an solche Dinge.

Man hat zwar erstmal das Schlimmste überstanden, und plötzlich, eines schönen Tages, wacht man dann auf aus seiner Lethargie und hat kein größeres Problem als dieses, denn gesund ist man ja trotzdem nicht. Da schwebt man so in einem Zwischenzustand inmitten von hier und da und plötzlich hat man Zeit, sich dann doch ein paar ganz pragmatische Fragen zu stellen.

Wie zum Beispiel diese: Sollte das alles jemals von irgendeinem Menschen gelesen werden?

Der akute Notstand bricht aus. Was machen damit? Nachdenken! Du hast schon genug Zeit vertrödelt. Für die nächste Hiobsbotschaft bist du besser vorbereitet. Ein Bankfach mieten? Na, mal nicht übertreiben. Berühmt bist du nicht und sonderlich wichtig auch nicht. Das mit der Weltherrschaft hat ja noch nicht geklappt.

Vergraben, damit Archäologen sich in 1000 Jahren freuen können? Sofern man dann überhaupt noch in der Erde rumbuddelt. Kann man aber im Hinterkopf behalten.

Vernichten? Klingt am Plausibelsten. Zumindest das kleine, vollgekritzelte Jugendtagebuch, wobei ich mich nicht einmal erinnern kann, es überhaupt geschrieben zu haben. Kam der Mist wirklich aus meiner Feder? Aus welchem dunklen Loch meines Gehirns kam dieser Irrsinn? Waren es die Pubertätshormone oder hatte mein Hirntumor bereits einen Wachstumsschub?

Einige Seiten musste ich sofort vernichten nur für den Fall, dass ich heute aus Versehen von einem Kometen erschlagen werde oder meine bunten Pillen verwechsle und mich dann vor Scham im Grab umdrehe, falls das jemand lesen sollte. Ich schämte mich für mein 15-jähriges Ich doch seitenweise zu sehr fremd.

Rauf, auf den Scheiterhaufen mit dieser pubertären, literarischen Meisterleistung? Eigentlich die einzige, sinnvolle Option. Aber warum kann man sich noch nicht einmal von dem Unsinn trennen? Oder geht es nur mir so?

Was wird wohl werden aus meinen zahllosen anderen von Hand verfassten Geschichten, Texten, Notizen, Ideen und meinen phaseweisen Anfällen von Tagebuchschreiberei, die sich bei mir anhäufen?

Dem Datenklau werden sie jedenfalls nicht zum Opfer fallen, dank meiner ausgeprägten Vorliebe für Buch und Kugelschreiber, statt für Laptops und falls mein Gekritzel irgendwann überhaupt einmal gefunden wird und ich es bis dahin nicht bereits im Waldstück nebenan verbrannt habe, müsste sich irgendein Holzkopf ja erstmal die Mühe machen, das alles zu lesen. Es ist an Inhalt nun wirklich alles dabei und sicher hätten ein paar Berufsgruppen ihre helle Freude daran.

Ob es, wo auch immer ich dann bin, nachdem ich die Fliege gemacht habe, noch das Schamgefühl gibt? Ich hoffe jetzt einfach mal nicht, denn dann ist es mir ja einfach egal, was alle so denken. Sollen mal drin rumschnüffeln. Ich bin dann ja weg und gucke mir das Spektakel von wo auch immer an.

Jedoch bin ich weder berühmt, noch bin ich ein Goethe, bin keine Simone de Beauvoir und auch keine Amy Winehouse. Wird also wahrscheinlich kaum einen interessieren, was da so aus meiner Feder gekommen ist.

Vielleicht schreibe ich aber noch irgendeine mathematische Formel rein, kryptiere meine Texte und rufe damit, wo auch immer ich dann verstreut bin, den amerikanischen Geheimdienst auf den Plan. Ziel erreicht. Was hatte ich doch eigentlich noch mal im Sinn? Die Amerikaner und die Russen ärgern? Nein, nicht, dass ich mich erinnere.

Na, egal. Schadet hoffentlich nicht.

Aussenpolitisch.

Ölpreistechnisch.

Dann verbrenne ich mein Jugendtagebuch aber gleich jetzt sofort noch, sonst nimmt mich ja keiner mehr ernst. Man könnte höchstens interpretieren, es sei auch damals schon eine Geheimsprache gewesen. Was auch sonst?

Dann würde ich einen geheimnisvollen, sagenumwobenen Abflug machen von dieser Welt. Damit könnte ich leben. Oder auch nicht. Bin ja dann weg. Hört sich aber endlich nach einem Plan an. Und die ganzen Bücher müsste ich auch nicht verbrennen. Das würde wahrscheinlich sowieso in einem Großbrand enden. Nur mit dem Kryptieren muss ich mich wohl jetzt mal näher befassen.

So werde ich dann doch noch berühmt. Leider erst, nachdem ich die Fliege gemacht habe und sich die großen Köpfe der Welt fragen, was wohl mein Nonsense zu bedeuten hat.

Ich überlege mir das Szenario noch mal genauer. Vielleicht wäre das Verbuddeln doch ein bisschen weniger dramatisch. Ich lasse den ganzen Sinn und Unsinn erstmal auf dem Tisch liegen für heute.

Was soll's. Solange man meine Leichen im Keller nicht findet, ist erstmal alles gut.

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