Dienstag, 17. März 2015

Selbstfindung und andere Trips

Mit 19 war das Leben hart. Ich hatte dann erstmal keine Zeit, ich musste mich erstmal selber finden. Was sollte es denn werden? Demokratie? Freie Wahlen? Nein danke, zu wenig Action. Es musste etwas Neues her. Ich wollte erschaffen!

Monarchie? Falsches Jahrhundert. Ein totalitärer Tyrann wollte ich nicht sein, obwohl mir sicher ein Thron und eine Krone auf dem Kopf gestanden hätten. Außerdem fehlte mir das blaue Blut, oder wie war das noch mal? Aber mich der Gegenströmung widmen und ein bisschen Geschichte schreiben, das wäre doch was gewesen, doch die Französische Revolution hatte ich knapp verpasst. Schade, prügelnd durch Paris laufen hätte mir sicher gefallen. Ok, Prinz Harry war noch auf dem Markt, aber nein, selbst die Aussicht auf eine Krone ließ mich rote Haare einfach nicht attraktiv erscheinen.

Kapitalismus? Der kam auf jeden Fall mit auf die Liste. Wie sonst sollte ich an neue Schuhe kommen? Aber nein, ich wollte doch die Welt retten und da passte so viel kapitalistischer Eigennutz nicht ins Konzept. Also wieder runter von der Liste. Die neuen Schuhe würden dann wohl Birkenstock-Sandalen sein, so wie es aussah. Die Welt retten in High Heels? Da nahm mich doch keiner ernst.

Sozialismus und Kommunismus strich ich gleich. Schöne Grundideen, egalitäre Gesellschaft, soziale Gleichheit und gerechte Güterverteilung, aber das schien ja doch nicht zu funktionieren und ich wollte mich nun wirklich nicht mit dem Westen anlegen. Also weg damit!

Diktatur? Nein! Davon will ich an dieser Stelle auch gleich mal jedem abraten!

Häuptling vielleicht? Ich würde sicher ein paar Anhänger finden im südamerikanischen Dschungel.

Aber herrje, was war nun eigentlich noch mal mein Ziel? Love, peace and happiness? Na klar, das auch, und der Weltfrieden, wie konnte ich den vergessen. Konzentration!

Die Liste schrumpfte so langsam. Das Einzige, was ich bis jetzt hatte, waren meine Birkenstockschuhe. Ganz schön magere Ausbeute. Wenn ich Birkenstock gut kombinierte, dann konnte es stilistisch vielleicht noch was werden. Musste ich dann aber auch in Batikkleidern rumlaufen? Mir waren die Regeln noch nicht ganz bekannt, aber von dem, was ich so gesehen hatte, schien dies doch ein fester Bestandteil zu sein in der politischen Friedensbewegung. Oder waren das die 70er?

Gab es Birkenstock auch mit Glitzer? Fragen durfte man ja wenigstens. Das mit der Kleiderfrage ließ sich lösen irgendwie, und nun sah ich es auch vor mir. Ich wollte die Anarchie. Schreiend durch die Strassen laufen und die neue Weltordnung verkünden. Anarchiiiiiie! Mit geballter Faust. So sah ich es vor mir. Auch hier musste ich noch an den Details arbeiten, aber das politische Grundgerüst war schon mal da. Da soll mir dann noch mal einer erzählen, das sei alles politische Utopie. Denen wollte ich es allen zeigen. Gleichwertigkeit, Gewaltfreiheit und freie Liebe, oder so ähnlich. Ich würde einen pazifistischen Hippiehimmel auf Erden Gründen. "Make love, no war."

Die Details, die Details. Wie sollte ich vorgehen? Nicht so punkmässig mit Hausbesetzungen. Das passte nicht in mein Konzept. Hatte ich überhaupt eines? Ach egal, sobald ich die passenden Schuhe und mein Outfit hatte, würden die Ideen schon von alleine kommen. Das war auch immer so mit dem Sport. Erst wenn man das richtige Outfit hatte, ließ sich richtig Workout machen.

Nun brauchte ich noch eine philosophische Ansicht, einen Glauben, irgendetwas Transzendentes. Das musste schließlich alles Hand und Fuß haben.

Atheismus? Vielleicht ein bisschen hart geurteilt. Ich wusste ja nun wirklich nicht, ob es einen Gott gibt oder nicht, da musste ich ja nicht gleich das ganze Gotteskonzept über den Haufen werfen. Dann lieber auf den religiösen Zug aufspringen. Und nun? Das war gar nicht so ganz einfach, denn die Auswahl war schließlich groß. Was sollte es werden?

Eine Naturreligion? Im Wald nach Geistern suchen? Ich strich mal die Naturreligionen, obwohl sie doch irgendwie ihren Reiz hatten, aber der Weltfrieden konnte nicht warten, bis ich mich in die Materie eingearbeitet hatte.

Judentum und auf den Messias warten? Warten tat ich schon genug auf irgendetwas. Das mit den Schläfenocken irritierte mich auch ein wenig und dann keine Verkehrsmittel und elektronischen Geräte im Sabbat benutzen. War der Ruhetag da nicht dahin?

Christentum? Die Feiertage waren ja ganz schön. Weihnachten kam der Weihnachtsmann, obwohl ich noch immer nicht verstand, was das mit der Geburt von Jesus zu tun hatte, und Ostern kam der Osterhase, und auch da verstand ich nicht, was das mit seiner Auferstehung zu tun hatte. Ich war doch nicht so ganz überzeugt von der Sache.

Islam? Kein Schweinefleisch mehr? Warum denn nicht? Ok, das Schwein hatte Schwein gehabt, aber kein doppelter Cheeseburger mehr ab und zu mal auf die Hand. Nein, es musste eine andere Lösung geben.

Buddhismus! Das musste es sein. Friedlich, tiefenentspannt und dazu noch exotisch. Aber hatte nicht mittlerweile jeder einen Buddha zu Hause? Nein, auf den Zug wollte ich nicht aufspringen. Ich war einzigartig und ich war ein Erschaffer! Ich war ein Freidenker, und ich wollte der Welt etwas geben. Ja, und was las ich da? Frauen durften den Goldenen Fels in Myanmar, das buddhistische Heiligtum, der nur von 2 Haaren Buddhas im Gleichgewicht gehalten wird, nicht berühren? Da war sie hin, die Tiefenentspanntheit. Ich war ja nun wirklich keine Feministentante, aber das war zu viel.

Ich strich auch gleich den Hinduismus.

Blieb mir noch der Konfuzianismus. Menschlichkeit, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Weisheit. Das hörte sich doch alles nach Friede, Freude Eierkuchen an, und erfüllte ich nicht alle Voraussetzungen?

Was für ein Vorbild würde ich sein! Herrlich! Der aufsteigende Stern am Himmel. Ich sah es schon vor mir.

Aber um wirklich eine eindeutige Entscheidung zu treffen und ganz sicher zu sein, sollte ich mir auch noch wenigstens kurz den Satanismus mal anschauen. Sekten, Tieropfer, schwarze Messen? Mein Kindheitstrauma von Himmel und Hölle reichte mir dann doch schon. Weg mit dem Teufel!

Agnostizismus? Das schien mir dann doch ein guter Kompromiss. Einfach mal offen lassen die ganze Sache, nichts bestreiten, die Existenz von Gott und überhaupt allem grundsätzlich für möglich halten und dann würden alle glücklich sein in meiner kleinen, neuen Community.

Nun hatte ich aber wirklich viel erreicht für einen Tag. Das passende Gebiet würde ich schon annektieren, das schafften ja auch andere andauernd, eine kleine Insel für den Anfang, und sonst eben doch erstmal mit Hausbesetzung anfangen.

Jetzt war ich aber wirklich erschöpft. Das musste ich erstmal sacken lassen. Eine anarchistische Agnostikerin und Freidenkerin in glitzernden Birkenstocksandalen, die lauthals die neue Gesellschaftsform verkünden würde. Für den Weltfrieden! Ganz im Sinne des Altruismus, selbstlos und idealistisch!

Was war das anstrengend, so politisch aktiv zu sein. Aber ich war 19 und voller Energie. Nichtsdestotrotz, auch die beste Jungpolitikerin hatte sich eine Pause verdient und nun musste ich erstmal ganz freidenkerisch mit einem Prosecco auf mein neues Ich anstoßen.

Ein neues Kleid lag sicher auch im Budget.

Prost Simönchen, hast du gut gemacht!

2 Kommentare:

  1. Du warst deiner Zeit voraus?!
    Krass, hab immer gedacht, im Cheeseburger sei nur Rindfleisch...jetzt wo ich darüber nachdenke...

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    1. Im Cheeseburger ist auch Käse und eine Gurkenscheibe und klaro war ich meiner Zeit voraus, deshalb konnte mir auch niemand erzählen Mc Donald's benutzt 100% Rindfleisch. Wieder was gelernt? ;)

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