Mittwoch, 9. September 2015

Was wäre, wenn...

Was wäre, wenn ich in einem der schönsten Länder der Welt geboren wäre? Mit Affen und Giraffen, mit Elefanten, die fröhlich vor meiner Türe trampeln. Zur Uni gegangen mit vielen Visionen. Aufgewachsen mit der Sonne im Herzen. Jeden Tag von Neuem zeigte sie ihre goldenen Strahlen und wärmte mir das lachende, staubige Gesicht. Aufgewachsen in einer großen, fröhlichen Familie. Wo ich trotz materieller Armut, inmitten dieses Naturparadieses, wo mich die buntesten Vögel weckten, doch immer noch ein Lächeln fand.

Doch plötzlich dachten sich ein paar Idioten, dass eine kleine Grenze oder eine Religion es wert sei, all dies zu zerstören. Und da steht diese kleine Familie nur als Beispiel für Millionen Opfer auf dieser Welt.

Was wäre, wenn ich aufgewachsen wäre in dem Lande, der Geburtsstätte unserer Zivilisation. Wo unsere Vorfahren einst sesshaft wurden, vor 11 000 Jahren. Wo der Mensch vom Jäger und Sammler sich einst niederließ zum ersten Mal in seiner Hunderttausende jahrelangen Geschichte und begann Kulturen zu schaffen. Das Zentrum unserer Zivilisation. Wo heute nur noch Schutt und Asche liegt.

Man mag es kaum glauben, wo unsere Wurzeln liegen. Ja, dort in Syrien. Das damalige Mesopotamien. Traurige Ironie?

Was wäre, wenn ich das sei und alles verloren hätte? Meine Bildung, meine Freunde, meine Familie, mein Land?

Was wäre, wenn ich ein sorgloses Kind gewesen wäre? Glücklich mit einem Ball in der Hand? Stundenlang vergnügt beschäftigt, doch nun schaut die ganze Welt auf meinen toten Körper.

Am Strand. Kein Ball mehr in der kleinen Hand.

Was wäre, hätte ich ein schönes, großes Haus gehabt, mit einer kleinen Arztpraxis gleich nebenan? Nun aber sitze ich in Budapest und warte auf den Zug ins Ungewisse. Ins Nirgendwo, am Straßenrand.

Ich bin kein Individuum mehr. Ein Mensch, der bin ich vielleicht noch, der es gerade so geschafft hat. Schlafen jedoch kann ich nicht mehr, auf dem kalten, harten Boden. Zu viele Bilder in meinem Kopf, und es sind keine lachenden Gesichter.

Was wäre, wenn man die geschichtlichen und politischen und alle anderen so unverständlichen Verpflichtungen mal aus dieser ganzen Debatte nehmen würde? Was wäre, wenn man handeln würde?

Nun zerstören diese Fanatiker Leben, Kultur, tausende Jahre alte Denkmäler, Familien, Kinderseelen, mal wieder ein ganzes Land und die Welt schaut zu.

Was wäre wohl, wenn ich ein Politiker wäre? Damit hat es nun aber nicht geklappt, es reicht nur für die Zuschauertribüne. Und so frage ich erschüttert bei jedem neuen, traurigen Bericht in den leeren Raum: "Was ist los auf dieser Welt?"

Der IS gewinnt jetzt den Kampf, denn anstatt zu handeln, hat sich ein internationaler Debattierklub entwickelt. Sie breiten ihr Territorium aus, bekommen mehr und mehr Waffen, Geld und Land in die Hand, terrorisieren, morden und wir sind beschäftigt mit dem nicht endenden Flüchtlingsstrom. Lassen sie weitermachen mit ihrer kriegerischen Tyrannei.

Wovor hat die politische Machtelite Angst? Gibt es dort zu wenig Erdöl für die USA zu holen? Was ist mit Europa los? Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Wenn das internationale Militär vereint den IS in Syrien überrollen würde, hätten wir das Problem nicht gelöst und die Menschen ihr Land, ihre Kultur und ihre Wurzeln zurück? Das Problem des Flüchtlingsstroms, der Ertrinkenden, der sinkenden Boote, der Verteilungsquoten wäre an ihrer Ursache gepackt und das Land von diesen selbsternannten Gotteskriegern erlöst?

Ein zerstörtes Land, ein traumatisiertes Volk, das hat der IS bereits erreicht, aber befreien, das liegt doch noch in unserer Hand. Ohne zu viel Optimismus für die Zukunft zu schreiben, denn dafür braucht es noch viel mehr von unserer Seite, wie die Geschichte gezeigt hat. Aber ohne Anfang kein Ende.

Vielleicht unterschätze ich aber auch wirklich diese Fundamentalisten und ihr selbsternanntes Kalifat, und sie sind tatsächlich mächtiger als eine US-Armee und die europäischen Mächte zusammen, wenn sie sich denn zusammen tun würden, um diesem ganzen Elend ein Ende zu bereiten.

Was wäre, wenn…

Aus der Geschichte lernen? Gerne! Aber die Geschichte scheint doch immer irgendwo anders Gegenwart zu sein.

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